Alan Kaufman
Alan Kaufman ist in der Bronx, NY aufgewachsen und lebt heute in San Francisco. In den Neunzigerjahren entstand in den USA eine neue literarische Bewegung: Fast über Nacht traten Spoken Word Poeten im ganzen Land an die Öffentlichkeit.
Begabte Autoren aus jenen Bevölkerungsschichten, die von der Härte der Bush/Reagan Ära vor allem betroffen wurden (Afro-Amerikaner, Obdachlose, Latinos, Juden, Asiaten, arbeitslose Weiße), artikulierten sich mit politisch engagierten Texten. In Lesungen und Auftritten im ganzen Land, in Underground-Auditorien wie dem Wordland in San Francisco, Green Mill Tavern in Chicago oder dem Nuyorican Poets Cafe in der Lower East Side berichtete diese neue Dichtergeneration von der Brutalität und Härte des Überlebenskampfes im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Ihre Botschaften wurden zum inoffiziellen Nachrichtendienst, zum CNN des Undergrounds, wie Alan Kaufman es einmal bezeichnete.
Bisher veröffentlichte Alan Kaufman drei Romane („matches“, „Jew Boy“ und „drunken angel“), publizierte in Kleinverlagen und in vielen Anthologien seine Gedichte. Seine drei Anthologien „The Outlaw Bible of American Literature“, „The Outlaw Bible of American Poetry“ und „The Outlaw Bible of American Essays“ wurden zu Kultbüchern in Amerika.
Werke
Zwangsjackenelegien
Die Gedichte handeln vom harten Alltag, vom Überlebenskampf von Leuten, die nicht in der materiellen Sonnenseite der USA zu leben haben.
Übersetzt von Jürgen Schneider
ISBN: 978-3-9503559-0-1
96 Seiten
Preis: € 12,--
Judenlümmel
„Judenlümmel“ (in der amerikanischen Originalfassung „Jew Boy“) ist die Geschichte eines Jungen, der in den Fünfzigerjahren als Sohn einer Holocaust-Überlebenden in der Bronx aufwächst und alles versucht, seiner Mutter und ihren Opfergeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg zu entkommen. Er flüchtet aus dem familiären Wahnsinn, aber er kann den Dämonen seiner Kindheit nicht entfliehen. Seine Odyssee bringt ihn in den Westen der USA, in einen Kibbuz in Israel, dann als Kämpfer in die Israelische Armee und er kehrt schwer alkoholsüchtig in die Staaten zurück, wo er sich als Obdachloser in den Straßen von New York, rund um den Tompskin Square, herumtreibt.
Die Rettung für ihn ist am Ende die Literatur.
Kaufman bezieht seine große literarische Kraft aus einer Fülle von Erlebniswelten, die nicht alltäglich sind. Er schreibt hart, direkt und ohne Schnörkel, aber auch mit einem bitteren jüdischen Humor.
Auch als e-Book erhältlich!
Rezensionen
Besprechung von Helmuth Schönauer vom August 2014
Judenlümmel
Spätestens seit Woody Allen ducken wir europäischen Nachfahren der Hitler-Herrschaft immer wieder zusammen, wenn wir hören, wie sich der jüdische Witz oft gegen die jüdischen Witzeerzähler selbst
richtet und dabei schonungslos Muster freilegt, die sich nur mit dem Witz überwinden lassen.
Alan Kaufman erzählt in seiner autobiographischen Kollektion in fein heraus gearbeiteten Erlebnislinien, wie ein sogenannter Judenlümmel in der Bronx erwachsen und schließlich auch noch
Schriftsteller wird. Dabei hat es der Ich-Erzähler nicht leicht, das Besondere vom Allgemeinen zu unterscheiden, die Gevierte in der Bronx von den Quadranten am Globus und das individuelle
Schicksal von der Geschichte der Menschheit. Wie in allen Geschichten, die mit der Kindheit und Jugend zu tun haben, geht es um den Erfahrungsprozess, worin sich die Helden in einer anonymen
Staffage erst zu unverwechselbaren Individuen entwickeln müssen.
Der Erzähler leidet an einer Hinterhofidentität, die Mutter ist als französische Jüdin vor dem Holocaust geflüchtet und deutet die Welt als Auftrag, die Naziherrschaft zu überleben. "Wird es
Krieg geben? - Nichts wird je so schlimm sein wie das, was uns damals unter Hitler widerfahren ist." Einen entsprechenden Bildband über den Holocaust liest der Junge als Comics. Und der Vater
sagt anlässlich von Bar Mitzwa: Das ist die Antwort auf Hitler. (130)
In der Schule läuft die Aufklärung freilich nicht so eindeutig ab. Dem Erzähler wird das griechische Wort für Muschi als Kosename angehängt und er läuft jahrelang als sexuelle Floskel in der
Bronx herum, ehe er dann in die Erotik eingeführt wird. In einem Bordell wartet er, dass es irgendwie losgeht, und tatsächlich tritt eine nackte Frau aus der verdunkelten Bett-Ordination und
fragt: "Wer ist der Nächste bitte?" (253)
Allmählich entsteht am Fluss, an dem die Truppe die Freizeit verbringt, das Gefühl für die Freiheit da draußen auf der Welt. Der mittlerweile leicht schriftstellerisch tätige Erzähler bemerkt:
"Die Realität verfügte über keine Sprache." (317) Daraufhin nimmt er einen Kredit, eine kleine Wohnung und bricht per Autostopp auf nach Denver. Dort gibt es dann den ersten zufälligen Reise-Sex,
den die Beteiligten "treu und entspannt" abwickeln, ehe es mit dem Güterzug nach Hause geht, ständig verprügelt und zur Sau gemacht von der Bahnpolizei.
Als die Jugend vorbei und der Erzähler ein Schriftsteller geworden ist, gibt es noch eine historische Erlebniskurve, die über einen Kibbuz-Aufenthalt in Israel und dem Besuch der Gedenkstätten in Dachau zu dem großen finalen Poem führt: "Wer sind wir, / die bedroht dastehen / in diesen Zeiten der Finsternis? / Wer sind wir, verurteilt zu sterben, / die wir uns überhaupt nicht / kennen?" (502)
Alan Kaufman erzählt die wilde Geschichte einer ungewöhnlichen Kindheit aus dem Bauch der Bronx heraus. Dabei wird das Unschöne mit dem Witz geadelt, die eigenen Schwächen werden gepflegt, bis
sie keine mehr sind, und was als Kind keinen Sinn macht, wird aufgehoben, bis man sich als Erwachsener darüber hermachen kann. Eine geniale Überlebensstrategie.
Alan Kaufman: Judenlümmel. A. d. Amerikan. von Jürgen Schneider. [Orig.: Jew Boy, USA 2000].
501 Seiten. EUR 29,50. ISBN 978-3-9503811-0-8.
Alan Kaufman, geb. 1952 in New York, aufgewachsen in der Bronx, lebt in San Francisco.
Jürgen Schneider, geb. 1952 in Wiesbaden, lebt in Berlin.
Helmuth Schönauer 08/09/14
Bericht im Standard vom 15.9.2014 über "Judenlümmel"
Gerald Schmickl in der Wiener Zeitung über den Roman Judenlümmel
Mit Asthma und Aberwitz
Kein Wunder, dass jemand mit solch jugendlichen Vorlieben eines Tages selbst Schriftsteller wird. Aber es ist nicht nur das "Geheimwissen" aus Romanen, das Alan Kaufman zum Autor "beruft", sondern zuvorderst seine eigene Geschichte, nämlich als Sohn einer französischen Jüdin, die den Holocaust überlebt hat, in der Bronx aufzuwachsen, und zu versuchen, dem Schatten, den das mütterliche Schicksal über die gesamte Familie wirft, zu entkommen.
Das gelingt natürlich nicht - aber Nicht-Gelingen ist ja nicht die schlechteste Voraussetzung für gelingende Literatur. Das zeigt der große autobiografische Bericht "Judenlümmel" (im Original "Jew Boy") des hauptsächlich als Lyriker und Herausgeber der "Outlaw Bible of American Literature" bekannten Autors Alan Kaufman auf eindrückliche Weise.
Anders, als es die Grundthematik vermuten lässt, liest sich dieses Buch keineswegs deprimierend. Kaufman hat, um sein Heranwachsen mit allerlei Handicaps zu beschreiben (wozu neben der familiären Disposition u.a. Asthma gehört), einen heiteren, ja nachgerade aberwitzigen Ton gewählt, der an den besten Stellen an Woody Allen, Arnon Grünberg oder Philip Roth erinnert.
Kaufman hält diesen Vergleichen zwar nicht durchgängig stand, manchmal geht die Lebendigkeit seines Erzählens auch auf Kosten der literarischen Qualität. Und dass Schilderungen einer erwachenden Sexualität, wenn diese mit Bildern aus der NS-Vergangenheit verknüpft werden, auf einem geschmacklich so heiklen wie dünnen Grat wandeln, versteht sich von selbst. Aber Kaufman meistert auch diese Herausforderung auf mutig direkte, nass-forsche Art. Man ist von diesem Buch im besten Sinne überwältigt.