Amina Abdulkadir
Amina Abdulkadir wurde 1985 in Mogadischu, Somalia, geboren. Als vierjähriges Mädchen kam sie mit ihrer Familie in die Schweiz. Schule war – laut eigenen Worten – nicht so ganz ihr Ding, da gab es noch weit interessantere Themen, die ihrer Entdeckung harrten. Lehr- und Aktivzeiten verbrachte sie in der akademischen Welt und als Ergotherapeutin um endlich da zu landen, wo sie eigentlich hingehört: in der Kunst mit Worten und Gestaltung. Irgendwo kann man lesen, dass sie Ordnung mag, was aber mitnichten mit einem Ordnungsprinzip für Schubladen verwechselt werden darf.
Seit 2015 ist sie als freischaffende Autorin und Spoken-Word-Poetin in Zürich tätig. Im selben Jahr erschien ihr erstes Buch Alles, nichts und beides bei Edition BAES.
2019 erhielt sie den Kulturförderpreis des Kantons Zürich.
Mehr Infos: www.abdulkadir.ch
LITERATURTIPP VON H. Schönauer 4/2016
Alles, nichts und beides
Alles, nichts und beides sind radikale Mengenangaben, wo es keinen Nachlass oder Rabatt gibt. Alles, nichts und beides ist eine Überlebensformel, die für alle wesentlichen Themen in Frage kommt: Liebe, Tod, Bleiben, Weggehen.
Amina Abdulkadir nennt die Anwendung ihrer Lebensformel Kürzestgeschichten, denn sie sind das radikalste Narrativ, das es für eine Ausnahmesituation gibt. Diese Geschichten haben oft die Gestalt eines Stachels und werden dem anwesenden Fleisch eingerammt als Mahnmal, Gedächtnisstütze oder Erinnerungs-Pikser.
Amina Abdulkadir gilt mittlerweile als gefeierte Slam-Poetristin, die ihre verbalen Botschaften bis hin zur puren Körperlichkeit performed. Wie bei den Beatniks geht es immer auch um den Blickwinkel von Außenseitern, um Offroad-Poesie, um Aspekte der Niedergeschlagenheit und Geschlagenheit durch das Schicksal. Aus diesem Grund ist es nur logisch, dass Ausschnitte ihrer Performance-Texte in der Edition BAES erscheinen, worin bereits Größen wie Alan Kaufman oder Jack Hirschman ihre kontinentale Heimat gefunden haben.
Die Sammlung beinhaltet zehn Texte „alles“, zehn Texte „nichts“ und zwölf Texte „beides“. Was hier so lapidar beschrieben ist, soll einen Eindruck vermitteln von jenen scheinbar lapidaren Sachverhalten, die in den Geschichten als existentielle Entscheidungsfragen dargeboten werden.
Jemand hat die Welt als Siebensachen um sich geschart, er ist schon eine Ewigkeit unterwegs und kann sich die Stilrichtung einer Bleibe gar nicht mehr vorstellen, da trifft er auf eine grottenhässliche Tapete und es entsteht erstmals ein Gefühl, dass er bleiben könnte. (9).
Ein Paar umkreist sich schon längere Zeit und es will nichts mit einander werden, erst als sie sich über Zahnbürsten unterhalten, merken sie, dass sie auch im großen Leben zusammenpassen könnten, nicht nur im Badezimmer. (15)
An anderer Stelle reden zwei noch miteinander, wie sie es zu Zeiten der Liebe gelernt haben, in Wirklichkeit werden die Pläne schon längst ohne einander gemacht. (22)
Was ist dann der Unterschied zwischen alles und nichts? Wahrscheinlich beides.
Jemand sitzt auf einem weißen Stuhl wie auf einem Toastbrot, was immer die Szenerie noch bringen wird, es ist ein aussichtsloses Sitzen. (31)
Ein Held hat ein begrenztes Kontingent an guten Tagen, die Kunst besteht nun darin, diese auch nützlich einzusetzen. Bei einem Vorstellungsgespräch klappt es jedenfalls nicht, das Kontingent der eigenen Überzeugungskraft ist abgeschöpft und sie nehmen einen andern. Was bleibt, ist ein „hätte“, das sich dafür in jeder Situation anwenden lässt.
Amina Abdulkadir erzählt von diesen spitzen Situationen, an denen sich nichts entlädt, von Entscheidungen, die nur einen Konjunktiv der Vergeblichkeit hervorbringen, von einer Maserung oder einem Muster, die ein ganzes Leben verändern können.
„Hagebuttentee hat keine Schaumkrone. Dafür weiß man, was man bekommt.“ (21)
Amina Abdulkadir: Alles, nichts und beides. Kürzestgeschichten.
Zirl: Edition BAES 2015. 56 Seiten. EUR 9,-. ISBN 978-3-9503811-4-6.
Helmuth Schönauer 22/03/16