Elias Schneitter
Civetta - Erzählung
ISBN: 978-3-9519872-9-3
Civetta - Rezension v. Helmuth Schönauer
Das Kind kommt zum ersten Mal in die Provinzstadt und ist erschlagen von der Weite und Undurchdringlichkeit der Stadt. Es kann nur einzelne Wörter lesen und merkt sich den Straßennamen Resselstraße, sollte es verlorengehen. Dort nämlich wohnen Bekannte. Aber o Wunder, der Name Ressel geht ein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf, er steht für Abenteuer, Sicherheit und Orientierung. Diese drei Dinge verspricht auch die Literatur, weshalb ein Leser immer Züge des Josef Ressel an sich hat, wie das erwachsene Kind eines Tages bemerkt.
Elias Schneitter trägt schon ein Leben lang die Geschichte des Josef Ressel ungelöst und voller Bewunderung mit sich herum. Lange sind seine Fragmente in diversen Schatullen und Kisten zur Ruhe gebettet gewesen, aber jetzt hat er seine gesammelten Alterskräfte aufgeboten, ist ins Technische Museum in Wien zu den Originalschriften gefahren, und hat eine wundersame Erzählung geschrieben. Diese berichtet in der Verkleidung des Erfinders der Schiffsschraube letztlich davon, wie es einem in Österreich ergeht, wenn man seine privaten Erfindungen dem öffentlichen Geist, dem Kaiser, den Volksvertretern und der Beamtenschaft aussetzt.
Jede Biographie-nahe Partitur erzählt die Geschichte immer auf drei Weisen:
a) wie der Held als Dokument in den Vitrinen oder in Wikipedia liegt
b) wie der Autor sich selbst verwirklicht, indem er das Leben eines anderen erzählt
c) wie die Leser bei jedem Absatz überprüfen, wie intensiv ihre Lebensträume vom Helden ausprobiert und verwirklicht worden sind
Josef Ressel (1793 – 1857) lebt also in ärmsten Verhältnissen, kann gut zeichnen und ist unheimlich neugierig. Er wird zweimal dem Kaiser vorgestellt, einmal erhält er ein zu kurz geratenes Stipendium für eine Forstschule, ein andermal wird er als Forstintendant ins Hinterland von Triest geschickt. Überall, wo er auftaucht, verbessert er die Welt, bis sie klar und logisch ist wie seine gestochen scharfen Zeichnungen.
Anlässlich einer Entkorkung einer Weinflasche kommt ihm die Idee, dass man das „Wasser anbohren“ müsse, um sich darin als Schiff fortbewegen zu können. Obwohl er viele Erfindungen und Patente nachweisen kann, lässt sich nur mit Mühe ein Probelauf für diese Idee durchführen. Das Schiff für dieses Experiment heißt Civetta und löst zumindest für ein paar hundert Meter große Aufmerksamkeit aus. Zwar funktioniert bei der Welturaufführung die Schiffsschraube bestens, aber der Dampfkessel explodiert. Und wie üblich, reden alle nur vom misslungenen Teil und niemand vom geglückten.
Das Patent verfällt und überall auf der Welt setzen sich Schiffsschrauben durch. Erst als in einem Wettbewerb der Nationen ein spätes Rennen um den Erfindungsruhm einsetzt, zeigt sich Österreich von seiner patriotischen Seite und unternimmt alles, um Ressel als Erfinder bekannt zu machen. Aber da ist es naturgemäß zu spät, denn in Österreich ist der Tod die Voraussetzung für Anerkennung. Zwar erfüllt der beamtete Ressel auch diese Vorschrift, aber er hat nichts mehr davon.
In dieser Geschichte, wie man sie aus den diversen Biographien für den eigenen Geschmack herauslesen kann, ist das bemerkenswerte Arbeitsleben des Elias Schneitter selbst verankert. Seine Erfindungen zeigen sich in mannigfaltig im Alltag verstrickten Geschichten, worin die fiktionalen Ressels die Hauptrolle des gewöhnlichen Zusammenlebens spielen. Jeder arbeitet an der Verbesserung seiner Welt und versucht, diese Entwürfe mit der Öffentlichkeit in Einklang zu bringen.
Die simple Frage eines Schriftstellers, wem gehören die Texte und was macht das Urheberrecht damit, kommt an die Fragestellung Ressels heran, wer hat die Schraube erfunden? So wie im Falle Ressels machen auch in der Literatur nicht jene das Geschäft, die eine Sache gut erfunden haben, sondern jene, die am schnellsten damit auf den Markt gerannt sind.
Die Erzählung „Civetta“ beleuchtet so nebenher das Wesen eines guten Beamten, der seine individuellen Bedürfnisse zurücksteckt im Dienste der Allgemeinheit. In grotesk wirkenden Episoden zeigen sich Unschlagbarkeit und Unsterblichkeit des Vollblut-Beamten. Als Ressel einmal überfallen wird, trennt er sich anstandslos von seinen Wertgegenständen, verteidigt aber sein Dienstpferd. Ihr würdet nicht weit kommen, denn das Dienstpferd ist bekannter als ich, sagt er den Räubern.
Dieses Hintanstellen der eigenen Identität führt die Behörden später ins Dilemma: Als eine Statue gegossen werden soll, weiß niemand, wie der Held ausgesehen hat. So ist man gezwungen, einen idealtypischen Erfindungsbeamten zu kreieren.
Die Erzählung endet mit einer Aufstellung der Dienstzeiten, man beachte die magische Ziffernfolge. 44 Jahre, 2 Monate und 22 Tage ist Ressel im Dienst gewesen und hat dabei die Welt verbessert.
Die Parallelen zur Literatur sind unübersehbar, wie der Spruch der Österreichischen Beatniks zeigt: Die Literatur ist immer im Dienst.
Die dritte Komponente, die beim Lesen dieser Erzählung zur Ergriffenheit führt, ist die Möglichkeit, sich mit dem Helden zu identifizieren. In jedem von uns steckt ein Ressel, jeden Tag führen wir Versuche durch, die schiefgehen. Aber die Schraube funktioniert, es ist nur der Kessel, der in die Luft fliegt.
Niemand, der lesen kann, vermag sich nach so einer Geschichte der Auseinandersetzung mit seinem eigenen Lebensgeist zu entziehen!
Elias Schneitter: Civetta. Erzählung.
Zirl: BAES 2022. 100 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-9519872-9-3.
Josef Ressel, geb. 1793 in Chrudim, starb 1857 in Laibach.
Helmuth Schönauer 27/03/22
geboren und aufgewachsen in Zirl/Tirol.
Realgymnasium in Stams.
Anschließend verschiedenste berufliche Tätigkeiten: Büroschreibkraft, Souvenirhandel, Canooing-teacher in Sturgeon Lake, Minnesota, Aufsichtsperson im Olympiamuseum Innsbruck, Projektleiter im Ho-Ruck, damals ein Sozialhilfsprogramm für Haftentlassene, lange Jahre Mitarbeiter in der staatlichen Sozialversicherung, jetzt frei schaffend.
Mitbegründer und Kurator des internationalen Literaturfestivals "sprachsalz" in Hall in Tirol.
Leitung des Kleinverlages Edition BAES.
Neuauflagen!
Anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Edition BAES sind die beiden Bücher "Fußball ist auch bei Regen schön" und "Ziel. Innweg 8" ab sofort in neuer Taschenbuchausgabe in unserem Shop erhältlich.
Werke
Fußball ist auch bei Regen schön
Im vorliegenden Buch "Fußball ist auch bei Regen schön" (dieser Titel stammt übrigens vom Schriftsteller Helmuth Schönauer), geht es nicht um den Fußball, bei dem "das große Geld" die erste Geige spielt, sondern um den erdigen, leidenschaftlichen, authentischen Fußball, der nicht die Bodenhaftung verloren hat.
Hardcover
84 Seiten
Preis: € 17,90
ISBN-13: 9783950483321
Erscheinungsdatum: 31.01.2020
Es gibt so Lebensweisheiten, die muss man sich durch ein intensives Leben erarbeiten. Eine solche Weisheit lautet: Die wahre Kunst findet im Prekariat statt! Eine Gruppierung, die diesem Überlebensprogramm huldigt, sind die Beatniks in allen Varianten. Sie können als Musiker, Schriftsteller oder Fußballkünstler auftreten, stets bleiben sie dem Fußballmotto treu, wonach man sich möglichst am Rand entlang spielen muss, um in Tornähe zu gelangen.
Elias Schneitter ist ausgewiesener Fachmann für prekäre Kunstformen. Sein Reader Austrian Beat versammelt eine Auswahl von Autorinnen, deren Leben an der Kante zum Überleben entlangläuft, wodurch das literarische Werk oft außerhalb der gesellschaftlichen Wahrnehmung zu liegen kommt. Denn auch in der Literatur gilt in Zeiten fossiler Energien die Parole: Ohne Kohle läuft nichts!
Längst ist die Parallele zwischen Literatur und Fußball dokumentiert, einschlägige Kaliber wie Wendelin Schmidt-Dengler, Klaus Zeyringer oder Franzobel haben die beiden Welten mit ihren eigentümlichen Gesetzen und Vokabeln in Aufstellung gebracht.
Elias Schneitter dokumentiert bereits im Titel seiner Auto-Kick-Biographie, dass es um den irdisch-bodenständigen Fußball geht, um das Kicken der Kids und späteren Aufsteiger in bürgerlichen Berufen, um den Fußball am Rand des Dorfes auf der Gstettn zwischen dem Aushubmaterial der Häuslbauer, um Fußball im Regen eben.
In einer durchgängigen Ich-Erzählung kommt eine typische Underdog-Karriere zum Vorschein. Zu Beginn hat der Erzähler nicht einmal einen eigenen Ausweis und muss unter fremdem Namen und Ausweis zu den Matches antreten. Bei der Siegesfeier freilich schmaust der Ausweisträger die Würstel, die allenthalben als Prämie ausgelobt sind. Die schöne Welt der Brache wird jäh unterbrochen, als der Held ins Internat muss. Wer eingesperrt ist, verliert oft seine Mannschaft, wiewohl gerade Inhaftierte und Internatszöglinge den besten Fußball der Welt spielen.
Später wird der Erzähler ins Ober- und Unterland verschlagen, wo er als Hilfstrainer, Outwachtler und Reserve-Manager in diversen Vereinen reüssiert. Ewig in Erinnerung bleibt eine furchtbare Niederlage, die der Coach mit dem Rücken zum Feld überstehen muss. Noch Jahre später wird er auf der Straße angesprochen und mit jenem legendären Spiel in Verbindung gebracht, bei dem die betreute Mannschaft schließlich auf das eigene Tor schoss, um irgendwie die Zeit bis zum Abpfiff zu überbrücken.
Dramatisch können freilich auch Spielbesuche ausfallen, die der inzwischen Vater gewordene Chronist mit seinem fußballbegeisterten Sohn absolviert. Einmal bricht ein Spieler zusammen und muss mit dem Helikopter abtransportiert werden, ein andermal verwechselt die Kellnerin der Kantine Schnaps mit Spülmittel, was zu horrender Verätzung führt. Der Sohn wird von diesen Ereignissen tapfer abgeschirmt, aber er kapiert, dass Fußball auch mit Tragödien um Leben und Tod zu tun hat.
Die entscheidende Frage für Beatniks-Kicker ist immer jene nach dem Überleben. Der Autor arbeitet mittlerweile bei der Krankenkasse, die um diese Zeit als Zentrum des Beat gilt. Der Direktor ist gleichzeitig Vereinspräsident eines Landesligavereins und stellt seine Mitarbeiter nach den Bedürfnissen der Spielgemeinschaft an. Bei ihm wird nicht ein Stürmer gekauft, sondern jemand in der Krankenkasse angestellt, der stürmen kann. Nach wilden Spielen dürfen die Regio-Stars ihre Blessuren in der Krankenkasse behandeln lassen.
Als Fußball-Historiker hat Elias Schneitter Zugang zu einem gigantischen Fundus an Anekdoten und Kleinschicksalen. Oft genügt es, das Foto einer historischen Mannschaft aufzublenden, und schon springen zu jedem Namen die entsprechenden Erinnerungen an. Mittlerweile ist Elias Schneitter so etwas wie Lebens-Fan beim Wiener Sportclub, dessen Historie mindestens so heftig ist wie jene des FC Wacker in Tirol. Beide Vereine sind längst über dem Zenit der Vereinsgeschichte und somit ideale Leitvereine für das Kicken ohne Sonnenschein.
Im Fußball der sogenannten Niederungen spielen auch Vorbilder und Genies eine große Rolle. Wegen eines genialen Passes in die Weite des Spielfelds wird der Autor plötzlich Löhr genannt, weil dieser in der Deutschen Bundesliga ebenfalls einen solchen Pass geschlagen hatte. Wenn jemand außerhalb des Platzes ein exzessives Leben führt, wird er mit Georgie Best verglichen, den man oft fälschlich für einen Schotten hält, weil man sich als Nordtiroler nichts unter einem Nordiren vorstellen kann. Wenn jemand zum Genie erkoren wird, ist es selbst im Fußball egal, welche Nationalität er hat. (35)
Diese wundersame Geschichte vom Fußball jenseits der Kohle lässt sich am besten mit einem Schweizer Witz abrunden. Beim Literaturfestival in Hall in Tirol erklärt der Schriftsteller Peter Bichsel zu später Stunde, warum der Schweizer Fußball nichts mehr zusammenbringt. 1924 gab es beim Schweizer Fußballverband eine Statutenänderung: Damals wurde das Rauchen auf dem Spielfeld während eines Matches verboten.
Helmuth Schönauer
Austria.Karl
englische Fassung
High Seas
englische Fassung
Moments of a biography in which Giorgio Voghera puts in several appearances
englische Fassung
Des Weiteren bei Edition BAES erschienen:
Helmuth Schönauer/Elias Schneitter/Bertram Haid - Das Schnelle zwischen den Beinen ist der Ball. Eine Fußball Radio Reportage (2008)
Elias Schneitter/Bertram Haid - Tirol ist nur eines. Stories (2001)